Es wird immer noch verlangt, die Erdgasleitung Nord Stream 2, obwohl schon fast vollendet, nicht zuende zu bauen und den Baustopp als Sanktion gegen Russland einzusetzen. Die politische Argumentation dafür lautet unter anderem, Russland handele innen- und außenpolitisch völkerrechtswidrig, es sei keine Demokratie und verstoße gegen moralische Regeln („westliche Werte“).
Nur Putin schaden zu wollen, ist keine verantwortungsvolle Politik
So sehr das den allgemeinen Wahrnehmungen nach zutrifft, so sehr trifft es auch auf andere autokratische und autoritäre Regime zu. Sanktionen gegen sie bewirken so gut wie nichts. Es ist sinnvoller, Russland trotz politischer Gegensätze wirtschaftlich als Partner zu behandeln, und das wirtschaftlich zu nutzen, was es liefern kann, und ihm das zu liefern, was wir können, statt das Land ins Abseits oder gar politischen Gegnern wie etwa China in die Arme zu treiben. Nur um einem autoritären Politiker wie Putin zu schaden und zu „bestrafen“, ist für Deutschland (und Europa) keine verantwortungsvolle Politik.
Verträge sind einzuhalten
Ein Baustopp als Sanktion gegen Putin, zumal auf den letzten wenigen Kilometern, wäre ein Schuss ins eigene Knie, denn die Erdgasempfänger haben das Geschäft nicht aus reiner Gefälligkeit gegenüber Russland vereinbart. Es dient ganz im Gegenteil der deutschen, aber auch der europäischen Versorgungssicherheit. Vor allem sind für das Vorhaben Verträge geschlossen, und der Grundsatz pacta sunt servanda sollte für einen Rechtsstaat, als den sich Deutschland und andere EU-Staaten ausgeben, selbstverständlich sein. Auch gilt im deutschen öffentlichen Recht ohnehin der Grundsatz des Vertrauensschutzes. Wirtschaftlich gesehen wäre es Unfug, die schon nahezu fertig verlegte Leitung ungenutzt auf dem Ostseegrund rumliegen zu lassen. Einschließlich der Anschlussleitungen am deutschen Festland sind bereits mehr als zehn Milliarden Euro verbaut.
Der Widerstand der USA schon gegen Nord Stream 1
Die USA haben gegen die zweite Erdgasleitung von Beginn an opponiert. Die erste Leitung (Nord Stream 1) war 2005 beschlossen worden und ist seit 2013 voll im Betrieb. Das amerikanische Sanktionsgesetz von 2017 ermächtigt die amerikanische Regierung zu Sanktionen auch im Zusammenhang mit russischen Erdgasleitungen. Nord Stream 2 ist darin ausdrücklich mit erfasst.
Was den USA-Widerstand gegen Nord Stream 2 zusätzlich antreibt
Dass die Leitung ein Politikum ist und warum die USA sie massiv bekämpfen, ist schon im ersten Positionspapier (2021 03 LFA10) unseres Fachausschusses LFA10 dargestellt worden. Zu ergänzen ist ein weiterer Grund für den Widerstand der USA. Das mit Nord Stream 2 gelieferte Erdgas wird nicht in Dollar fakturiert wie im Erdölgeschäft üblich. Versuchen, Erdöllieferungen in anderer Währung als Dollar abzuwickeln, sind die USA stets mit Drohungen und Gewalt entgegengetreten. Seit Ende des Zweiten Weltkrieges ist es der damals einzigen Weltmacht USA gelungen, auf dem Weltmarkt den Dollar als allgemeine Handels- und Leitwährung durchzusetzen. Nahezu alles hatte Dollar-Preise und wurde in Dollar bezahlt, gerade auch das Erdöl als wichtigster Energierohstoff. Lieferländer, die es wagten, ihr Öl in anderer Währung (Euro) bezahlen zu lassen, wurden massiv bestraft (Beispiel Irak und Iran).
Nord Stream 2 ein weiterer Stoß gegen die wankende Dollar-Hegemonie
Auf diese Weise haben die USA ihr inneramerikanisches staatliches Geldmonopol auf außerhalb von Amerika ausgeweitet, also gleichsam globalisiert und den Dollar für andere Länder zur Reservewährung gemacht. Auf diese Weise können die USA ihren Güterimport mit einem Geld bezahlen, dessen Menge bei Bedarf eigenständig nur sie vermehren können. Damit entziehen sie sich in ihrem Außenhandel auch Wechselkursrisiken, denen die anderen Länder gegenüber dem Dollar mit ihren nationalen Währungen ausgesetzt sind. Diese Dollar-Hegemonie gerät inzwischen ins Wanken. Wenn also das Geschäft mit dem Gas von Nord Stream 2 nicht in Dollar abgewickelt wird, wird ihr damit ein weiterer Stoß versetzt.
Nützlich ist nur ein wirtschaftlich stabiles Russland, die Gasleitung wirkt daran mit
Den Bau der Leitung zu vollenden, wird für Deutschland nicht nur wirtschaftlich, sondern letztlich auch politisch von Nutzen sein. Russland ist für Deutschland aus historischen, sozialen, wirtschaftlichen und nicht zuletzt sicherheitspolitischen Gründen einer der natürlichen Partner in Europa. Politikerpersönlichkeiten wie Brandt, Bahr, Schröder, Strauß und einst Bismarck sowie Unternehmer wie Berthold Beitz oder Otto Wolff von Amerongen haben stets danach gehandelt. Russland sollte für Deutschland kein Feindstaat sein. Deutschland könnte Russland eines Tages sogar auch noch sehr brauchen. Nord Stream 2 ist ein Baustein dafür, Russland wirtschaftlich enger an Deutschland und die EU zu binden sowie es wirtschaftlich zu unterstützen. Ein wirtschaftlich stabiles Russland kann für Deutschland von großem Nutzen sein. Wirtschaftliche Bindungen fördern die politischen Bindungen. Mehr Chancen für den Frieden in Europa wären damit ebenfalls verbunden. Russland zu schaden, ist für Deutschland wie für die EU nicht nur wirtschaftlich, sondern auch politisch unklug.
Finanzielle Folgen, wenn das Gasprojekt verhindert würde
Allein der wirtschaftliche Schaden wäre weit größer als die verlorenen gut 10 Milliarden, die das Leitungsverlegen schon gekostet hat und die dann im wahrsten Sinn des Wortes versenkt worden wären. Nach Angaben vom Osteuropa-Verein der Deutschen Wirtschaft und Altkanzler Gerhard Schröder müssten insgesamt 12 Milliarden Euro abgeschrieben werden, 120 westliche Unternehmen wären betroffen, und europäische Gasverbraucher müssten jährlich 5 Milliarden Euro für das Gas von woanders aufwenden, wenn Nord Stream 2 gestoppt würde (FAZ vom 2. Juli 2020, Seite 18). Würde das Projekt wirklich verhindert, sind die tatsächlichen Folgen letztlich nicht absehbar. Daher ist es zu vollenden.
Kann der Leitungsbau juristisch noch gestoppt werden?
Wäre der Bau der Erdgasleitung formalrechtlich überhaupt noch zu stoppen? Die juristischen Mittel dafür sind begrenzt. Die deutschen Behörden haben alle Genehmigungen erteilt, darunter das Bergamt Stralsund den Bau und Betrieb der Leitung innerhalb der deutschen Zwölf-Meilen-Zone und das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie die Genehmigung für die ausschließliche Wirtschaftszone. Die Genehmigungen waren nicht daran geknüpft, dass Russland das Völkerrecht einhält, also nicht dagegen verstößt. Als Verwaltungsakte sind sie bestandskräftig. Aufheben lassen sie sich nur unter den gesetzlich vorgesehenen Bedingungen. Man kann diese gerichtlich überprüfen lassen, aber die Hürden für eine Rücknahme sind hoch. Dazu war im Februar 2021 in der FAZ bezogen auf die Gasleitung dies zu lesen:
Die Hürden sind hoch und Entschädigungen würden fällig
„Ein Verwaltungsakt darf widerrufen werden, um schwere Nachteile für das Gemeinwohl zu verhüten oder zu beseitigen. Hier ließe sich anführen, dass das Projekt zur weiteren Destabilisierung der Ukraine führt, weil sie dadurch als Transitland für Gaslieferungen an Bedeutung verliert, was sich nachteilig auf die europäische und deutsche Sicherheitslage auswirken kann. Allerdings stellen die Gerichte für solche Fälle hohe Hürden auf. Wer eine Genehmigung erhalten hat, soll darauf vertrauen können, dass sie ihm nicht wieder entzogen wird. Hinzu kommt, dass die Genehmigungen erteilt wurden, als die russische Aggression gegen die Ukraine bereits im Gange war. In jedem Fall müsste die öffentliche Hand Gasprom dann entschädigen. …. Denkbar wäre zudem, dass der Gesetzgeber aktiv wird und – wie beim Atomausstieg – ein Gesetz verabschiedet, das den Pipeline-Betrieb verhindert, etwa ein Gesetz zur Eigenständigkeit der deutschen Energiewirtschaft. In dem Fall wären allerdings ebenfalls Entschädigungen fällig. Rechtliche Hebel für einen Baustopp bietet auch das EU-Recht nicht. Der EU-Außenbeauftragte, Josep Borrell, hat im Herbst klargestellt, dass das ‚außerhalb der Möglichkeiten der EU-Institutionen‘ liegt.“ (FAZ vom 23. Februar 2021, Seite 8).
Eingriffsmöglichkeiten gehen auch nach Bauvollendung nicht verloren
Den Bau auf den letzten Kilometern noch zu stoppen, wäre ohnehin töricht – wirtschaftlich wie politisch. Dabei ist es keineswegs so, dass mit dem erfolgreichen Ende des Baus auch die deutsche und europäische Verfügungsgewalt über die Leitung beendet ist. Ob und wie und wie lange man sie nutzt, ist der politischen Entscheidung nach der Fertigstellung nicht entzogen. Deshalb geht mit der Bauvollendung unwiderbringlich an Eingriffsmöglichkeiten nichts verloren, zu irgendeiner Eile besteht keinerlei Anlass. Ist die Leitung vollendet, kann man sie nutzen oder auch nicht. Ist sie nicht vollendet, hat man diese Wahl nicht mehr – jedenfalls vorerst nicht.
Die Gasversorgung aus Russland ist verlässlich und geboten
Die Vorteile der Leitung, zumal für Deutschland, liegen auf der Hand. Die Gasversorgung aus Russland ist verlässlich; das war sie schon unter der kommunistischen Sowjetunion, die alles andere als ein Rechtsstaat war. Trotz deren Gewaltherrschaft hat man das Gas sanktionslos gerne angenommen. Außerdem ist die Versorgung vergleichsweise preiswert und auch dringend geboten, weil die aberwitzige deutsche Energiewende eine große, überaus teure Lücke in die deutsche Energieversorgung reißt.
Autor: LFA 10, Landesfachausschuss für Energiepolitik, Klimawandel und Digitalisierung